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Spätsommer 1985, Schwarzwald-Baar-Kreis
Wir hatten gerade mehr oder weniger erfolgreich unser Abitur absolviert und wir, dass heißt mein bester Freund Michael und meine Wenigkeit beschlossen, die nun gewonnene Freiheit in die Tat umzusetzen.
Wenige Wochen zuvor, zwischen Abitur und dem Start in unsere Freiheit hatte ich Dank schweißtreibender Arbeit in einer Kompressorenfabrik sage und schreibe 1.260 Mark verdient
(ja, das noch echte Geld, Ihr erinnert euch vielleicht?).
Da ich mittlerweile stolzer Inhaber eines Führerscheins war, sollte das Geld in ein automobiles Gefährt investiert werden.
Nun, da in der Nähe einige französische Kasernen lagen, gab es auf dem hiesigen Gebrauchtwagenmarkt eine deutlich französische Ausprägung im Low-Budget-Sektor, welche ich nun auch nutzen wollte.
Die Wahl fiel auf ein eher ungewöhnliches Gefährt. Eine 2CV Kastenwagen, besser bekannt in Deutschland unter „Kastenente“ oder Dialekt „Kaschtäentlii“.
Sensationeller Weise mit 250kg Zuladung, einem 425cm² Motor und abartig rasanten 18 PS!
Michael und ich sinnierten tagelang über zerfledderten Falkplänen Mitteleuropas unserer Eltern.
Da die Pläne allesamt nunmehr gute zehn Jahre alt waren, waren wir uns nicht ganz sicher, ob die eingezeichneten Straßen auch in Wirklichkeit dort waren,
Mut zum Risiko gehörte damals zu jeder Urlaubsfahrt dazu.
Verschiedenen Destinationen waren in der engeren Auswahl.
Zum einen interessierte uns England.
In Zeiten ohne Smartphone oder Internet an die Fährpreise zu den britischen Inseln zu gelangen, war ein Unterfangen für sich.
Hinzu kam die Unwissenheit und Naivität von zwei Schwarzwälder Burschen, für die Freiburg im Breisgau eine Großstadt war.
Man schrieb hierzu einen Brief…
Das ist so eine Art E-Mail mit Papier und ohne Computer. Auf jeden Fall braucht man hierzu eine Briefmarke, noch dazu eine Auslandsbriefmarke.
Man kann sich das ratlose Gesicht des Postbeamten in unserem Dorf vorstellen.
Was kostet das Porto nach England?
Ich kürze ab. Nach zwei Wochen bekamen wir tatsächlich Antwort von einer britischen Reederei, garniert mit Prospekten und unserem korrigierten Anfragebrief – unser Englisch muss für den zuständigen Angestellten fürchterlich gewesen sein.
Ich erinnere mich noch wage an ca. 25 Fehler in einem Schreiben von höchstens 50 Wörtern. Der Fährpreis betrug 122 britische Pfund – äh,ja.
Umrechnungskurs ca. 3,80 DM, waaas? 464 DM für die Fähre? Das hatten wir für den ganzen Urlaub geplant.
Der britische Falkplan wanderte in die Mülltonne…
Nächste Option war Italien – gähn.
Das Urlaubsland unserer Eltern, Großeltern, Großgroßeltern, aller Bekannten, aller Freunde – einfach allen Deutschen.
Ich glaube mich erinnern zu können, dass von unseren ca. 1.750 Einwohner unseres Dorfes im Sommer 1984 bestimmt 1.748 Menschen auf dem einen Campingplatz bei Bibione waren.
OK, damals war es noch relativ billig, aber gegen die Italienischen Jungs auf ihren Motoguzzis, die allabendlich die Flaniermeile hoch- und runter saussten hatten wir käsebeinigen Schwarzwälder überhaupt keine Chance. Also eine eher schlechte Idee.
Der arg zerflederte und abgegriffene Falkplan Italiens wurde sorgfältig zusammengelegt und dem Papa wieder ins Handschuhfach gestapelt.
Michael war schon immer eher auf dem kulturellen Trip und er hatte dann auch die zündende Idee: Cannes, Frankreich!
Er hatte mitbekommen, dass damals im Mai 1985 Filmfestspiele in Cannes waren und er ganz begeistert von einem Film Namens „Oberst Redl“war.
Klaus Maria Brandauer, den Hauptdarsteller kannte ich auch.
Den Film kenne ich bis heute nicht…
Nun ja, Cannes hörte sich für mich als echte Option an. Zumal ganz in der Nähe –Brumm-Brumm- Monaco war.
DAS kannte nun wieder ich aus dem Fernsehen – Autorennen und so.
Außerdem war es nicht so weit-dachten wir…
Die Route wurde wie folgt geplant.
Bei Schaffhausen über die Schweizer Grenze, dann über Bern, Genf an die Französische Grenze.
Hernach über Chambéry, Fontaine, Tallard nach Aix-en-Provence alles südwärts.
Von dort Richtung Osten die damalige Nationalstraße 8 (heute Autobahn) nach Cannes, Nizza und Monaco.
Wer nun jemals im Google der Neuzeit diese Strecke verläuft, wird feststellen, dass da so ein kleines Gebirge dazwischen ist.
Nennt sich Alpen…mit 18 PS…
Der Falkplan sieht das Ganze eher flach…
Also wurde gepackt.
Zelt (ist klar dass es DORT Zeltplätze geben muss – Italien, ihr erinnert euch?)
Futter für drei Wochen. Rotwein dürfte es dort unten geben-ist ja Frankreich.
Kohle (ich 325 DM, Michael 510 DM, wir waren richtig reich!)
Ok, Badehose (könnt ihr euch braune, zu kurze Badehosen mit beigen Streifen, Black-Forrest-Style vorstellen?)
Vollgetankt (22 Liter-Tank), Bussi bei den Eltern, Tränen, die werden erwachsen – und los.
Wir haben geheult…bis Basel…
Die Schweiz war problemlos, 28 Grad warm – im Auto ca. 40 Grad…warum?
Nun, das Auto hatte die doofe Eigenschaft, schnell heiß zu werden, also mussten wir ständig die rudimentäre Heizung einschalten – im Sommer – damit der Motor kühlte…
Aber wir waren Happy und hörten über den mitgeschleppten Kassettenradio (nein, das erkläre ich jetzt nicht) so Knüller wie Live is Live von Opus, Cheri, Cheri Lady von Modern Talking und Brothers in Arms von den Dire Straits
– wir waren ja soooo cool!
Und alles lief gut bis…
Es gibt da so ein Dorf mitten in den Alpen, dass nennt sich Saint-Disdier…
Stellt euch das Todeslied von Ennio Morricone vor…
Meine brave 2CV hatte sich vier Stunden lang keine acht Kilometer mit Tempo 20 die Alpen hochgeschleppt. Alle fuhren an uns vorbei, auch die Radfahrer…
Und dann standen wir auf dem Pass – dachten wir…
Wir blicken eine schnurgerade Straße hinab, welche durch ein kleines Nest führte und auf der anderen Seite ebenso schnurgerade aber unglaublich steil auf den nächsten Pass führte.
Überall standen die berühmten französischen Schilder „RAPPEL 50“ herum.
Viertausendfünfhundertmeter trennten uns von unserer Weiterfahrt…
Die Steilstrecke auf der anderen Seite war für mein Entlein definitiv zu steil, unüberwindbar, keine Chance.
Der letze Anstieg war das Maximum, was den 18 PS zugemutet werden konnte.
Der Umweg, das wussten wir leider gemäß den Schildern hier auf dieser Seite, waren mehr als 50 Kilometer. Wir mussten es irgendwie schaffen…
Eine Idee kam auf – nein undenkbar, wenn was passiert…
Michael plädierte fürs umkehren. Ich jedoch setzte meine Sonnenbrille auf, schmiss die Morricone-Kassette ein und winkte, er solle einsteigen.
„Du bist wahnsinnig“
„Ich weiß“
Der Motor heulte auf.
Langsam setzte sich unser Gefährt in Bewegung. Ich drückte durch und schaltete die verflixte Stockhebelschaltung so schnell wie irgendwie möglich hoch – kein Motorwiederstand.
Die Landschaft flog an uns vorbei. 70, 80, 90, 100, 110 Tachoende – die Nadel bog sich durch…
Mit gefühlten 120 Sachen bretterten wir durch das Dorf.
Zwei Ziegen sprangen im letzten Augenblick zur Seite, das Huhn schaffte es nicht mehr…
Ein mahlendes Geräusch und Federn im Rückspiegel waren alles, was übrig blieb – und ein halbes Dutzend wütender Franzosen – super!
Jetzt zog die Straße an.
Steiler und steiler.
Kaschtäentlii wurde langsamer – viel zu schnell langsamer…
80, 70, 60, 50, 30!!!, 20!!!!! – noch vielleicht hundert Meter!
Michael öffnete die Tür und brüllte:“Ich bin zu schwer!“… und weg war er.
Gekonnt rollte er sich im staubigen Straßengraben ab und begann sofort, hinter mir herzulaufen.
Die Ente fuhr Schritt und ich hatte noch fünfzig Meter.
Der Motor brüllte, die Heizung kochte, das Auto qualmte – aber ich schaffte es.
Ich war oben!!!
Ich sah nur in den Rückspiegel nach Michael und sah zu meiner Verwunderung ein sehr erschrockenes Gesicht.
Ich blickte nach vorne und sah zwei französische Flicks und einen quer gestellten R4 mit Blaulicht – lächerlich dachte ich im ersten Augenblick.
Nun, bremsen musste ich ja nicht mehr…
Wir beide – der französischen Sprache praktisch nicht mächtig erlebten ein Donnerwetter der besonderen Art.
Zunächst wurden wir bestimmt zehn Minuten angebrüllt.
Nebenher geflissentlich alle möglichen Personalien aufgeschrieben.
Ich wurde richtig böse am Ohr gezogen – wie es man mit einem Rotzlöffel eben in Frankreich macht.
Dann mussten wir bar löhnen – 100 Franc für zu schnell, 60 Franc fürs Blaulicht, 40 Franc fürs Huhn, 100 Franc fürs weiterfahren lassen und 50 Franc weil wir Deutsche waren…
Zusammen also umgerechnet 105 DM!
Und dann lachten die französischen Polizisten plötzlich laut, klopften uns auf die Schulter und wir glaubten zu verstehen, dass diese Straße bisher noch nie eine Ente geschafft habe.
Über Funk laberte einer der Polizisten was im Streifenwagen.
Dann kam ein weiterer R4, diesmal mausgrau den Berg hoch. Eine Art Reporter fragte uns höflich in gebrochensten Englisch, ob wir ein Foto erlauben würden.
Er notierte zu dem Geplappere des einen Polizisten sorgfältig in eine Art Ringbuch und drückte uns am Schluss noch 200 Franc in die Hand „Pour Foto!“
Bingo – die Aktion hatte uns auf einmal nur noch 45 DM gekostet!
Mutmaßlich waren wir in der lokalen Presse und bei Citroën das Tagesgespräch!
Die Weiterfahrt war gemächlich, der Motor wie immer zu heiß und wir kamen nach genau dreiunddreißig Stunden und 980 km in Nizza an – ohne Schlaf wohlgemerkt!